Als ich die Tage einen Artikel über aktuelle Forschungsergebnisse zur Verbindung von Körper und Psyche las musste ich wieder an ein Pferd denken, das ich vor fast zwanzig Jahren einige Male geritten bin. Es hatte mir damals etwas gezeigt, wofür es heute weitere Erklärungen gibt.
Der Warmblüter mit Holsteiner-Ahnen war in Südamerika geboren und von dort mit seinen Besitzern nach Deutschland gekommen. Jedes Mal, wenn ich ihn ritt, hatte ich die erste Viertelstunde das unbestimmte Gefühl, ich müsste eine Art Widerstand überwinden. Nicht, dass das Pferd – es war damals neun oder zehn Jahre alt – in irgendeiner Weise ungehorsam, widersetzlich oder auch nur steif gewesen wäre; er lies sich reiten, aber es fühlte sich seltsam an.
Einige Zeit später wurde mir erzählt, das Pferd sei in Südamerika auf dort heute noch vielfach übliche Art eingebrochen worden. Und dann verstand ich es. Diese gruselige Form des Nachgebens, eines sich Abfindens mit der Situation, die ich jedes Mal bei diesem Pferd gespürt hatte und die einem sich selbst Aufgeben gleichkam, werde ich nie vergessen.
Neue Studien aus dem Humanbereich zeigen zum Einen, dass seelisches Leid dem Körper und seiner Gesundheit schaden kann. Zum Anderen wird immer klarer, dass auch der Körper unsere Gefühle und Gedanken steuert. Schon unbewusste Bewegungen und Haltungen beeinflussen unsere Stimmung. So zeigten Versuche, dass sich tatsächlich unsere Stimmung bessert, indem wir die Aufforderung „Kopf hoch“ körperlich umsetzen.
Auch das therapeutische Konzept der Psychomotorik – mit dem vor allem Störungen bei Kindern behandelt werden – beruht auf diesem Wechselspiel zwischen geistig-seelischen und körperlichen Prozessen und wirkt über Bewegungen auf die Psyche ein. Das Erklärungskonstrukt der so genannten Psychomechanik wiederum steht in Zusammenhang mit Reflexen – natürlichen wie erworbenen: Rennt ein Pferd etwa aufgeregt über die Koppel, wird es Kopf und Schweif hochaufgerichtet tragen oder es klopft mit den Hufen an die Boxentür, weil es den Futterwagen in der Stallgasse hört.
In der reiterlichen Praxis lassen sich leicht weitere Beispiele finden. Ein Pferd kann, wenn es nur am Halfter geritten wird, genau dieselben Sperr-Bewegungen machen, die es am Gebiss sonst auch zeigt. Ein Gurtzwang entsteht in der Regel beim Anreiten und ist häufig nicht wieder völlig wegzubekommen: Bewegungs- und Verhaltensmuster, wie ein Festhalten des Rückens infolge gestörter Atmung, „melden“ sich dann in jeder Reiteinheit. Ein Pferd, das – vor allem – zu Beginn seiner Ausbildung in irgendeiner Form Stress hatte, wird diesen in die weitere Ausbildung mitnehmen. Vielleicht wird es nicht so deutlich wie bei dem eingebrochenen Südamerikaner, aber er ist da.