Loch im Bauch

Kürzlich las ich wieder einmal in einer Pferdezeitschrift, dass die Pferde in computergesteuerten Offenställen ihre Heuportionen auf zehn bis zwölf Einheiten über den Tag verteilt bekommen, keine davon länger als 30 Minuten. Und wieder einmal habe ich mir Gedanken gemacht, ob ich das gut finde. 

Vorneweg: Wer versucht herauszufinden, wie groß der Magen eines durchschnittlichen Warmbluts im Mittel ist, wird sich wundern. Die Zahlen schwanken zwischen acht und 23 Litern – jeweils ohne genaue Angabe, um welche Pferde es sich denn genau handelt, von denen diese Zahlen stammen. Am häufigsten findet man die Angabe „15–20 Liter“. Nehmen wir also an, ein Pferd mit 550 Kilo Körpergewicht hat mindestens einen, eher wohl zwei Zehn-Liter-Eimer im Bauch, die gefüllt werden können und wollen. Für meine weiteren Gedankengänge ist das erst einmal egal.

Ein Pferd kann in einer halben Stunde nur etwa 600–700 Gramm Heu fressen. Denn für ein Kilo benötigt es an Fresszeit zwischen 40 und 50 Minuten und vermengt dieses dabei mit drei bis vier Liter Speichel, wie Studien zeigten. Simuliert man nun die aufgenommene Futtermenge pro halber Stunde durch eine entsprechende Menge Heucobs plus Wasser (siehe Bild) befindet in unserem „Magen-Eimer“ eine recht armselige Menge Futterbrei.

Satt? So in etwa sieht die Menge Heu die ein Pferd in einer halben Stunde aufnehmen kann in einem Fünf-Liter-Eimer aus. Der Magen eines durchschnittlichen Großpferdes ist aber locker drei- bis viermal so groß. (© C. Götz)

Satt? So in etwa sieht die Menge Heu die ein Pferd in einer halben Stunde aufnehmen kann in einem Fünf-Liter-Eimer aus. Der Magen eines durchschnittlichen Großpferdes ist aber locker drei- bis viermal so groß. (© C. Götz)

Wohin eine Magenüberladung bei Pferden – die ja nicht erbrechen können – führen kann weiß man: Es kann zur Ruptur, vom Anriss bis zum vollständigen Durchbruch des Magens, kommen. Was aber bewirkt es, wenn ein Pferd sich nie wirklich satt fressen kann? Im Sommer mag sich diese Frage durch Weidegang möglicherweise gar nicht stellen. Aber was passiert, wenn kein Weidegang möglich ist, oder auf den hoffnungslos überweideten Mini-Flächen vieler Ställe? Was macht es mit der Psyche und dem Stoffwechsel des Pferdes, wenn es sich nie wirklich satt fressen kann? Haben möglicherweise, die regelmäßigen Fälle von Stresskoliken, die man beim Umstellen in Offenställe mit computergesteuerter Fütterung beobachtet, ihre Ursache nicht (nur) darin, dass die Pferde mit den Automaten noch nicht umgehen können?

Wissenschaftliche Untersuchungen zum Weideverhalten zeigen, dass so kurze Fresszeiten die Pferde dazu bringen, zu schlingen. Sie werden also regelrecht zu Schnellfressern „erzogen“, mit allen Nachteilen, die das mit sich bringt, wie unzureichend gekaute und nicht ausreichend eingespeichelte Nahrung. Ersteres kann Probleme im Darm und der Versorgung mit Nährstoffen nach sich ziehen, letzteres wirkt sich negativ auf den Magen aus. Was aber bedeutet es für das psychische Befinden der Pferde, wenn sie sich nicht satt fressen können? Man weiß aus Studien, dass sie in Zeiten extremer Nahrungsknappheit bis zu 18 Stunden das Tages mit Fressen verbringen, um die nötigen Nährstoffe auch aus kargem Futterangebot zu sich nehmen zu können. Kommen sie hungrig auf eine üppige Weide fressen sie zuerst große Mengen; ist eine gewisse Sättigung erreicht, dämpfen sie das Fresstempo und die Futteraufnahme. Das kenne sicher nicht nur ich von mir selber: Der erste Knödel ist in einem Happs weg, bei Nummer zwei dauert der Verzehr schon länger.

All diese Untersuchungsergebnisse legen die Schlussfolgerung nahe, dass der Modus „satt“ beim Pferd nicht nach 600 Gramm Heu hergestellt ist. Ich bin gespannt, ob es wissenschaftliche Arbeiten geben wird, die sich konkret mit dieser Art Fütterung befassen und welche Auswirkungen sie auf den Organismus insgesamt hat. Bis dahin möchte ich, dass meine Pferde sich in Ruhe satt fressen können – und nicht nur eine halbe Stunde lang.