Schwung bis unter die Decke

Nichts geht über Hubraum, außer noch mehr Hubraum, las ich vor Jahrzehnten mal in einem Automagazin. Betrachtet man die Pferdezucht, scheint sich der Spruch für die Gangmechanik ummünzen zu lassen. Dazu werden aber immer öfter kritische Stimmen laut – von Reitern, Ausbildern und Therapeuten. Doch was ist dran?

Immer häufiger hört oder liest man Kritik an der heutigen Pferdezucht. Sie vernachlässige die nötige Härte – also das Einkreuzen von Vollblütern wie Galoppern, Arabern, Angloarabern oder Achal-Tekkinern – und sie züchte Pferde, die sich nicht mehr reiten ließen. Als Begründung wird oft gesagt, die modernen, langbeinigen Pferde, speziell aus den Dressurlinien, seien aufgrund ihrer züchterisch veränderten Körperstatik verletzungsanfällig. Körperliche Attribute wie ein kurzer Rücken, lange Röhren, eine große Schulterfreiheit und ein schräge Kruppe mache es diesen Pferden unmöglich, sich so auszubalancieren, dass eine vielseitige Ausbildung möglich sei.

Achal-Tekkiner wurden früher zur Veredelung von Warmblutrassen eingesetzt und brachten durch ihre Rennpferd-Gene außerdem viel Härte. (© Artur Baboev, Wikipedia)

Diese Argumentation hört sich im ersten Moment sinnvoll an, weil viel Wahres dran ist: Vollblut wird gerade wenig genutzt, die Bewegungen werden immer aufwändiger, spektakulärer, schwungvoller. Allerdings wird Ursache und Wirkung meiner Ansicht nach verwechselt: Das Haus brennt ja nicht deshalb, weil die Feuerwehr ausrückt.

Gerade ganggewaltige Pferde brauchen eine vielseitige Ausbildung, die ihnen hilft, sich auszubalancieren und die sie von innen heraus kräftigt und stabilisiert, sodass die Belastung nicht auf Sehnen, Bänder und Gelenke geht, sondern von der langsam und stetig sich aufbauenden Muskulatur geleistet werden kann.

Moderne, gangstarke Pferdetypen sind in der Ausbildung anfällig für Taktstörungen oder eine aus Spannungen resultierende Verschiebung der natürlichen Bewegungsabläufe. (© Chefsne, Wikipedia)

Allerdings ist es so, dass Pferde mit viel Grundschwung, von Reitern gerne auch Gummi oder, im Pferdeforendeutsch, „Schwoing“ genannt, nicht einfach zu reiten sind. Sie erfordern nämlich vom Reiter ebenfalls eine große Portion Sportlichkeit. Dazu ein gutes Körpergefühl plus die nötige Sensibilität um feine Hilfen zu installieren. Meiner Ansicht nach hapert es an diesen Faktoren bei der Ausbildung der modernen Pferdetypen am meisten.

Das soll nun nicht heißen, dass nicht jedes Pferd einen Reiter mit oben genannten Fähigkeiten verdient. Aber bei Warmblütern mit viel Schub plus Grundschwung fällt eine nicht pferdegerechte Ausbildung eher auf, weil sie ihre Bewegungsqualitäten dann offensichtlicher verlieren als andere Typen.