Spüren lernen

Im letzten Beitrag – in dem es um die Angst vor Fehlern ging – hatte ich eine meiner Lieblingsübungen angekündigt: Ich mag sie unter anderem deshalb, weil sich mit ihr erkennen lässt, wie man das Zusammenspiel von Reiter und Pferd schulen kann.

Gleichzeitig kann man mit ihr ahnen, wie ein Pferd sich beim Erlernen der Hilfen fühlen könnte. Die Übung ist eine Partnerübung. Ideal ist es wenn beide Partner nicht zu unterschiedlich groß sind. Und man braucht etwas freien Raum – egal ob draußen oder drinnen.

Das Grundprinzip: Einer hält seine beiden Zeigefinger wie eine einfach gebrochene Wasserstrense in Höhe des Bauchnabels – er ist das Pferd. Der andere – der Reiter – stellt sich direkt gegenüber und umfasst je einen Finger von oben ganz sanft mit den Fingerspitzen von Daumen und Zeigefinger.

Links das „Pferd“, rechts der „Reiter“: Mit Zeigefinger und Daumen umfasst er sanft die „Wasserstrense“ und gibt ein- und/oder beidseitige Impulse nach vorne oder hinten. Ideal wäre, wenn das Pferd sich jetzt noch entspannt und die Daumen nicht abspreizt. (© C. Vidal)

So geht’s: Das Pferd schließt die Augen und wird vom Reiter geführt – geradeaus, nach links, rechts und hinten. Ein einfacher Druck*  vom Reiter mit dem Zeigefinger nach vorne sagt dem Pferd es soll vorwärts gehen**. Ein Gegendruck vom Daumen des Reiters sagt dem Pferd, es soll anhalten – oder, wenn es bereits steht – es soll rückwärts gehen. Gleichmäßiger Kontakt auf beiden Zeigefingern bedeutet, das Pferd soll geradeaus gehen, mehr Druck auf dem einen oder anderen Finger bedeutet, das Pferd beschreibt eine Kurve. Mit Druck vom Zeigefinger erhöht der Reiter das Tempo, drückt man mit dem Daumen, also Richtung Bauch das Pferdes) kann man das Tempo verlangsamen.

Probieren Sie es aus. Es ist eine faszinierende Erfahrung. Sie werden schnell merken, mit wie wenig an Hilfengebung Sie auskommen, wenn Sie das Prinzip einmal verinnerlicht haben. Der Reiter soll ganz leichten Kontakt an den Fingern des Pferdes halten und nur bei Richtungsänderungen den Druck in die gewünschte Richtung ausüben.

Lasen Sie sich nach der Übung von Ihrem Reiter Rückmeldung geben, wie er Sie als Pferd empfunden hat und umgekehrt. Tauschen Sie dann die Rollen und tauschen Sie sich danach erneut aus. Machen Sie die Übung im Stillen und anschließend zu Musik (gerne auch zu unterschiedlicher Musik und spüren Sie den Unterschied). Versuchen Sie die Hilfengebung weiter zu verfeinern.

Nehmen Sie das Gefühl, fein geführt zu werden und fein zu führen mit in den Sattel oder die nächste Boden- oder Handarbeit.

* Es wird kein Dauerdruck ausgeübt, sondern es werden kleine, sich in der Intensität steigernde Impulse gesetzt, bis eine Reaktion kommt.

** Da es ja keine treibende Hilfe in Form von Gewicht und Schenkeln gibt, ist diese Variante des Treibens natürlich eine Krücke. das tut aber dem Grundprinzip dieser Übung keinen Abbruch.