Zwei Augen zum Sehen und doch keine Ahnung, was das in Wirklichkeit ist? Richtig: Die Rede ist von einem Pferd. Das ist nicht gemein gemeint, aber manchmal ist ihre Sicht der Dinge eine ganz schöne Herausforderung für uns.
Ceci n’est pas une pipe – das ist keine Pfeife – steht auf einem der bekanntesten Bilder des belgischen Surrealisten René Magritte. Es zeigt eine Pfeife. Der Name des Bildes, „La trahison des images“ bedeutet „Der Verrat der Bilder“ und weist bereits auf eine seiner Bedeutungen hin: Denn es handelt sich eben nur um das Bild einer Pfeife, nicht um die Pfeife selbst. Das Abbild eines Gegenstandes ist nicht der Gegenstand.
Wer darüber ins Grübeln kommt, was Realität für uns ist, sollte es den Pferden nicht übel nehmen, dass sie ebenfalls manchmal Schwierigkeiten mit der Interpretation der Wirklichkeit haben. Und dass ein zusammengerollter Wildzaun für sie etwas völlig anderes bedeutet als für uns.
Das liegt an ihrer Art zu sehen: Viele wissen, dass Pferde nahezu 360 Grad überblicken können und Farben völlig anders wahrnehmen als wir. Weniger bekannt ist, dass sie, um einen Gegenstand scharf sehen zu können, diesen mit beiden Augen ansehen müssen und zum Fokussieren einige Zeit benötigen; abhängig auch davon, wie weit der Gegenstand entfernt ist.
Warum nun beispielsweise eine auf dem Boden liegende Drahtrolle Angst machen kann, hat noch weitere Gründe, die mit dem Sehen an sich zu tun haben: Zum einen sind Pferde auf die Wahrnehmung von Bewegungen ausgerichtet und auch besonders gut darin – besser als wir. Man kann sich das so vorstellen, dass sie Bewegungen erkennen, die wir nur sehen würden, wenn sie in Zeitlupe abliefen. Das ist der Grund, warum Raubtiere sich auf der Jagd extrem langsam geduckt anschleichen und immer wieder „einfrieren“. So unterlaufen sie quasi die Wahrnehmungsschwelle ihrer Beute. Wir bedienen dasselbe Prinzip, wenn wir die Hand millimeterweise bewegen, um eine Fliege zu fangen.
Ein unbewegter Gegenstand in Form eines Raubtieres, das auf Lauer liegt, muss also beäugt werden. Das liegt in der Natur des Pferdes. Noch dazu, wenn an der Stelle tags zuvor ein Zaun einfach noch ein Zaun war.