Ich werde nie meine allererste Blutegel-Behandlung vergessen. Obwohl ich davor mehrfach zugeschaut und auch schon Egel mit bloßen Händen angefasst hatte, war das erste Mal dennoch voller Überraschungen …
Überraschung Nummer eins war eigentlich keine, denn ich hatte gelernt, dass Egel Geduld brauchen und Nervosität spüren und dann nicht saugen. Nachdem ich die therapeutisch interessanten Punkte rasiert, gesäubert und leicht angestochen hatte, war mein Pulsschlag normal, der des Pferdes und auch der seiner Besitzerin aber nicht mehr. Der erste Egel fing zwar an zu saugen, aber Egel Nummer zwei fand zuerst meine Hand interessanter – jetzt ging auch mein Puls hoch. Das Pferd schaffte es, trotz angehobenem Vorderbein kräftig mit dem Hinterbein zu stampfen, danach war kein Egel mehr am Pferd.
Wir haben die Behandlung für diesen Tag abgebrochen – es war auch recht kalt. Allerdings nicht kalt genug: Einer der Egel hatte sich davongemacht, als ich vergaß, zwischendrin das Transportgefäß zu schließen. Überraschenderweise haben alle, auch der Ausreißer, das überstanden und beim nächsten Termin brav angebissen.
Wer sich Egel besorgt hat, um seinem Pferd zu helfen, sollte beachten, dass diese durchaus ihren eigenen Kopf haben: ob, wo und wen sie beißen. Ich habe schon erlebt, dass ein Egel den einen Patienten verschmähte, den nächsten, wenige Minuten später, aber in Sekundenschnelle anbiss.
Auch in der Haltung, bis zu ihrem Einsatz, sind die Gürtelwürmer anspruchsvoll: Sie akzeptieren nur beste Wasserqualität. Leitungswasser ist in der Regel nicht geeignet. Ein stilles Mineralwasser oder ein gutes Quellwasser ist nötig und muss mindestens alle zwei, drei Tage erneuert werden. Lassen Sie in dem verschlossenen, durchsichtigen Gefäß zudem viel Luft.
„Ein Blutegel lässt nicht nach, bis er voll ist“, soll der römische Dichter Horaz gesagt haben. Ich sage: Wenn der Egel voll ist, lässt er manchmal nicht los. Ein Spritzer kaltes Wasser wirkt dann oft Wunder – auch, wenn er beim Saugen zu lange Pause macht.
In Deutschland muss man die Egel laut Gesetz nach dem Einsatz töten, solange man sie nicht danach als Aquarientiere hält und nicht mehr einsetzt. Aufgrund ihrer hohen Ansprüche gehen sie hier aber auch häufig bald ein. Ich setze sie daher nur in Fällen ein, in denen davon auszugehen ist, dass ich mit keiner der anderen von mir erlernten Therapieformen den gewünschten Erfolg haben werde. Dieser Anbieter nimmt die Egel jetzt wieder gegen eine Gebühr zurück und sie leben dort weiter.