Jägerlatein, Seemannsgarn

… und Reitermärchen. Es wundert mich, dass die Mythen, mit denen Reiter ihre Fähigkeiten aufbauschen, keine eigene Redewendung geprägt haben. Das Zitat von Bismark „Es wird nie so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd“, könnte man gut um „sowie im Reiterstüberl“ erweitern.

Wobei sich das heute nicht mehr nur dort abspielt sondern vor allem auch in einschlägigen Foren. Da passiert es durchaus, wenn den Behauptungen Bilder oder sogar ein Video folgen, dass – im übertragenen Sinn – der Fisch, den man angeblich kaum tragen konnte, auf Goldfischgröße schrumpft.

Meist wird dabei auch klar, dass dem Betreffenden die Beurteilung der eigenen Leistung offensichtlich nicht möglich ist. Das hat jeder von uns schon selbst erlebt, dass andere eine Situation und auch uns anders beurteilen als wir selbst. Aber warum ist es (oft) so schwer, sich selber neutral zu bewerten?

Eine Antwort darauf kann der Dunning-Kruger-Effekt (DKE) sein, benannt nach den Psychologen David Dunning und Justin Kruger, die in ihren Studien zeigten, dass weniger kompetente Menschen dazu neigen, ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen und ihre Inkompetenz nicht zu erkennen vermögen. Dies ändert sich erst, wenn sich Wissen und Fähigkeiten erhöhen. Dann kehrt sich der Effekt quasi um, man schätzt sich selbst schlechter ein, als man eigentlich ist. Eine typische Entwicklung bei Reitern geht mit dem DKE konform: Mit zunehmendem Alter und Reitpraxis gelangen viele zu der Erkenntnis, dass sie in diesem Leben nicht mehr richtig reiten lernen würden, während sie es mit Anfang 20 bereits super konnten.

Auch das Forschungsergebnis der Psychologen Elanor Williams und Thomas Gilovich kann zur Erklärung dienen: Diese kamen in ihren Studien zu dem Ergebnis, dass wir andere Maßstäbe anlegen, wenn wir uns selbst bewerten als wenn wir andere beurteilen: Bei der Einschätzung unserer eigenen Leistung und ihrer Entwicklung gehen wir von unseren Highlights aus. Sollen wir dasselbe für andere machen, orientieren wir uns an deren Durchschnitt.

Auch Anglerlatein lässt sich mit dem Streben nach Perfektion – in diesem Fall: dem bestmöglichen Fang – erklären. (© Fred Hsu, Wikipedia)

Auch Anglerlatein lässt sich mit dem Streben nach Perfektion – in diesem Fall: dem bestmöglichen Fang – erklären. (© Fred Hsu, Wikipedia)

Übertragen auf den Sattel bedeutet das: Haben wir einmal eine perfekte ganze Parade geritten oder einen wirklich guten Sprung gemacht sehen wir uns schon bei Olympia. Bei anderen Reitern, egal ob auf dem Turnier oder am Stall lassen wir jeden Fehler – vom nicht perfekten Sitz bis zu den Problemen im Umgang mit dem Pferd – in die Beurteilung einfließen.

Die gute Nachricht: Williams und Gilovich sind der Ansicht, wir machen das nur, weil wir immer besser werden wollen. Dennoch hilft es auch beim Reitenlernen weiter, sich manchmal daran zu erinnern, das Licht am Fahrrad* auszuschalten.

* Zwei Freunde treffen sich. Sagt der eine: „Gestern hab ich einen Zwei-Meter-Hecht gefangen.“ Sagt der andere: „Und ich habe ein Fahrrad aus dem Wasser gezogen, an dem das Licht noch brannte!“ Darauf der erste: „Übertreibst du nicht ein bisschen?“ Entgegnet der andere: „Schrumpf du deinen Hecht auf 80 cm, dann mache ich am Fahrrad das Licht aus!“