Lecken und Kauen ohne Nahrung – ein entspanntes Abkauen, bei dem ein Stück Zunge zu sehen ist – zeigen Pferde in unterschiedlichen Situationen: Beim Training, in der Herde oder beim Behandeln. Eine neue Studie räumt nun mit der Vorstellung auf, das Leerkauen wäre ein Zeichen der Unterwerfung.
Dass Lecken, Kauen, Schlucken und Gähnen Zeichen der Entspannung sind, wissen Osteopathen und Physiotherapeuten schon lange. Sie bedeuten in der Behandlungssituation: Es löst sich etwas. Denn alle sind ein Zeichen, dass der Parasympathikus, der so genannte Entspannungs- oder Ruhenerv, nun wieder zum Zuge kommt.
Dies hat nun auch eine norwegische Studie gezeigt, bei der frei lebende Herden in Ecuador beobachtet wurden. Vorgestellt wurde die Studie letzte Woche bei der Konferenz der ISES (International Society of Equitation Science) in Rom: Lecken und Kauen ist ein natürliches Verhalten, das häufig nach bestimmten Interaktionen gezeigt wird, etwa einem Konflikt in der Herde. Beide – Angreifer und Angegriffener – zeigen das Verhalten im Anschluss, also wenn die Situation für sie abgeschlossen ist.
Der zeitliche Ablauf ist für die Forscher entscheidend: Die Pferde zeigen Lecken und Kauen nicht, um eine Situation zu entspannen, sondern sie zeigen es, weil sie sich wieder entspannen können. Spannend fand ich an der Studie noch, dass das angreifende Pferd danach häufiger leckte und kaute, als das angegriffene.
Nun stellen sich die Forscher die Frage, was Henne ist und was Ei: Ob das Abkauen entspannt oder ob die Pferde abkauen, weil sie entspannt sind. Aus der Erfahrung und Studien beim Menschen ist die Antwort ganz klar: Beides ist möglich. Das zeigt auch die früher weit verbreitete Tradition der Abkauübungen. Aber wegen mir dürfen sie das gerne auch noch beweisen.
Mit einem Punkt bin ich allerdings nicht einverstanden, denn er könnte zu Missverständnissen führen: Die Forscher schließen aus ihren Beobachtungen, dass die Situation, die zum Abkauen führte vom Pferd als Stress empfunden wurde. Das ist natürlich möglich, in der Herde genau so wie im Umgang mit uns Menschen. Es aber in dieser Form zu generalisieren finde ich irreführend. Das weiß jeder, bei dem sich schon mal während einer Massage oder osteopathischen Behandlung Verspannungen gelöst haben: Hier besteht der Stress besteht in den Verspannungen und nicht in der Behandlung, durch die sich diese lösen.