Mit Zunge oder ohne?

Ja, da werden Bilder im Kopf wach … Aber aufgepasst: Es geht um Pferde und wie sie das so genannte Leerkauen durchführen, ein Lecken und Kauen, bei dem Pferde oft – aber nicht immer – mehr oder weniger Zunge zeigen. Das wird heute ganz anders eingeschätzt als noch vor ein paar Jahren. Daran haben vor allem sanfte manuelle Therapieformen ihren Anteil.

In ihrer Doktorarbeit zur Bedeutung des Leerkauens bei Pferden aus Sicht der Physiologie und der Ethologie beschreibt Marion Wickert das Leerkauen so: Maul leicht geöffnet oder geschlossen, Mahlbewegung (wobei eine sichtbare Anspannung des großen Kaumuskels möglich ist oder fehlen kann) und nennt Lippenlecken sowie zeitversetztes, Gähnen, Schnauben und Schütteln von Kopf und Hals als mögliche Begleiter. Andere haben beobachtet, wie sich das Lecken und Kauen – im Folgenden von mir hier Abkauen genannt – anbahnt: So beschreibt der US-amerikanische Neurowissenschaftler für Pferde, Dr. Steve Peters Kopfwippen, Veränderungen in der Atmung und Lippenzucken in seinem Kontext.

Alle meine Ausbilderinnen und Kolleginnen wissen, dass sich ein Abkauen durch folgende Signale anbahnt: minimales Zittern und/oder deutliches Vollerwerden der Lippen, eine Veränderung der Atmung oder des Ohrenspiels. Und wir alle achten auf das Abkauen als Reaktion des Pferdes auf unsere Behandlung. Kurz davor bemerken wir häufig ein vermehrtes In-sich-Hineinhorchen des Pferdes und/oder eine positive Veränderung der Muskulatur, die wir gerade behandeln.

Wenn man sich überlegt, dass vor nicht einmal 25 Jahren das Abkauen als Demuts- oder Unterlegenheitsgeste galt, dann hat sich die Interpretation deutlich gewandelt. Heute ist man sich weitestgehend einig, dass Abkauen …

  • bei der Interpretation von Befindlichkeiten bei Pferden weiterhelfen kann,
  • ein sichtbares Zeichen des Spannungsabbaus ist,
  • die Kaubewegung eine Aktivierung des Parasympathikus bewirkt und somit,
  • je nach Art und Dauer der Kautätigkeit mehr oder weniger stark zur Entspannung beiträgt.

Beweisen konnte man das in Studien noch nicht, zu schwierig ist es, physiologische Werte wie Speichelcortisol oder Herzfrequenz für diese kurzen Momente verlässlich zu messen. Man konnte aber viele der oben genannten Erkenntnisse aus anderen Studien und Beobachtungen folgern.

Dieses Pferd zeigt ein noch etwas verhaltenes Abkauen bei einer osteopathischen Behandlung. (© C. Götz)

Nicht nur Therapeutinnen, sondern auch immer mehr Trainerinnen und Ausbilderinnen nutzen das Abkauen als Info für ihre Arbeit. Von außen ist das auch relativ leicht und jeder kann Abkauen selber beim Führen oder der Frei- und Bodenarbeit beobachten. Aber auch beim Longieren, der Handarbeit und sogar beim Reiten kann man selber das Abkauen des Pferdes beobachten, wenn die Voraussetzungen dafür geschaffen sind. Wie diese aussehen, darüber berichte ich im nächsten Beitrag.

* Da sind jetzt tatsächlich auch Männer darunter, die sich gerne mitgemeint fühlen dürfen.