Natürlich schief, natürlich falsch

Was ist mit natürlicher Schiefe gemeint? Was mit der hohlen und der Zwangsseite? Und was haben diese mit der Rechts- oder Linkshändigkeit zu tun? Schräge Theorien und Erklärungsversuche gibt es zuhauf – von angeborener Krümmung in der Gebärmutter über das Geschlecht bis hin zu 20 kg mehr Gewicht auf der Blinddarmseite. Und bei all dem mischt auch immer noch ein uraltes Rechts-Links-Problem aus Steinbrechts Tagen mit.

Gustav Steinbrechts Gymnasium des Pferdes, Neuauflage Georg Olms Verlag, 1996, Seite 89.

Gustav Steinbrechts Gymnasium des Pferdes, Neuauflage Georg Olms Verlag, 1996, Seite 89.

„Wohl ist es angezeigt durch Übung entsprechender Lektionen die Zwangsseite mehr zu biegen“, steht im Gymnasium des Pferdes* und dass „dies meist die rechte ist“. Deshalb galt damals die Regel, alle Lektionen auf der rechten Hand zu beginnen, von dieser zur linken überzugehen und dann nochmals auf der rechten zu wiederholen, „sodass die Biegungen rechts stets doppelt geübt wurden“.

In der überarbeiteten Ausgabe von 1935** steht allerdings, dass ab der dritten Auflage, Plinzner den ursprünglichen Wortlaut geändert hat „und an Stelle der rechten Seite die linke als die schwierigere erklärt, weil er die Erfahrung gemacht hatte, dass diese meist die Zwangsseite war, ohne sich bewusst zu werden, dass zwischen schwieriger und Zwangsseite ein Unterschied besteht“.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir aufgrund dieser „Verwechslung“ heute noch solche Probleme beim Austausch über die natürliche Schiefe haben. Alle, die sich ab der dritten bis zur korrigierten Ausgabe auf Steinbrecht berufen (oder von ihr abgeschrieben haben) meinen das Gegenteil der ursprünglichen Aussage.

Auch auf anderen Wegen kommen Menschen zu dem Schluss, dass „dass wir ein Problem mit der «Nomenklatur» haben“, wie der Tierarzt und Chiropraktiker Kerry J. Ridgway schrieb und deswegen fordert: „Wir müssen das Gespräch suchen und allenfalls bessere Begriffe und Definitionen finden.“ Er kommt aufgrund seiner Beobachtungen in punkto Ausprägung und Spannungszustände der Muskulatur zu dem Ergebnis, „dass die Stützbein-Dominanz von 75 bis 80 Prozent aller Pferde als «vorne-rechts-dominant» und nicht «vorne-links-dominant»“ zu bezeichnen ist. Dies entspräche – obwohl er den Begriff Händigkeit ablehnt – ziemlich genau dem Anteil von 80 Prozent Rechtshändern, die ältere Untersuchungen quer durch die bekannten Säugetiergattungen gefunden haben – egal ob Mensch, Affe oder Hund.

Doch nicht nur das Pferd alleine ist schief – auch wir Reiter haben eine geschicktere und eine steifere Körperseite, Hände und Beine. Lustigerweise geht das bei uns nicht Hand in Fuß, wie Berichte aus dem Leichtathletik zeigen. Will heißen: Die geschicktere Hand kann auf einer anderen Seite sein als der geschmeidigere Fuß oder auf derselben. Doch was bedeutet das nun für Reiter und Fahrer? Mehr dazu im nächsten Beitrag.

* Aus der Erstausgabe von Gustav Steinbrechts Gymnasium des Pferdes, Neuauflage Georg Olms Verlag, 1996, Seite 89.
** 18. Auflage, 2000, Verlag Dr. Rudolf Georgi, Seite 107