Nur ein Wort

Die Tage hat ein Artikel für Diskussionen gesorgt, in dem der ehemalige Oberbereiter der Spanischen Hofreitschule in Wien, Johann Riegler, mit dem Ausspruch zitiert wird, er sei genervt von „Nase vor!“ Was steckt dahinter?

So will die H.Dv.12 eine Remonte geritten sehen: Nase vor der Senkrechten plus Genick als höchstem Punkt. (© C. Götz)

So will die H.Dv.12 eine Remonte geritten sehen: Nase vor der Senkrechten plus Genick als höchstem Punkt. (© C. Götz)

Kern der Verwirrung ist folgende Sequenz: „Man muss überlegen, woraus ‚Nase vor’ in Kombination mit dem Genick als höchstem Punkt resultiert: Das geht nur aus der extremen Versammlung, wenn die Hanken entsprechend gebeugt sind und die Hinterhand Last aufnimmt.“ Das „nur“ im zweiten Satz war es, was für Irritation sorgte. Denn natürlich kann auch ein junges Pferd mit dem Genick als höchstem Punkt und der Nase vor der Senkrechten laufen, wie diese Zeichnung, die in Anlehnung an eine Abbildung aus der H.Dv.12* gemacht wurde, zeigt.

Unglücklich formuliert oder nicht, der Hinweis ist sehr interessant, denn Riegler macht damit auf ein Problem aufmerksam, das man seit einiger Zeit vermehrt beobachten kann und das er so beschreibt: „Es wird häufig nur noch ‚Nase vor’ geritten, weil es die Leute sehen wollen – und können.“ Und dass die Nase vorne ist heißt ja nun wirklich noch lange nicht, dass der Rücken dabei ist. Wenn Pferde mit Kopf und Hals nach oben und daraus dann mit der Nase nach vorne geholt werden, die das von Hinterhand und Rücken nicht reell leisten können, dann nennt man das absolute Aufrichtung oder Schenkelgänger – verspannter Rücken inklusive. Das ist nicht immer leicht zu erkennen. Im Gegenteil, es ist manchmal sogar extrem schwer zu sehen, ob der Reiter trickst. Je geschickter er ist und je ganggewaltiger das Pferd, umso schwieriger wird es oft.

Sich der klassischen Forderung nach einer Stirnlinie vor der Senkrechten zu beugen, indem das Pferd absolut aufgerichtet wird, ist keine Erfindung der heutigen (Turnier)reiterei. Aber (dort) gerade wieder im Kommen. Auch für erfahrene Pferdemenschen ist es nicht immer leicht zu erkennen, ob ein Pferd tatsächlich schön durch den Körper schwingt oder eine Kadenz zeigt, die lediglich aus einer Verspannung resultiert. Umgekehrt ist es fast unmöglich, jegliche falschen Vorbilder nicht zu verinnerlichen, wenn man sie als lernender Reiter tagtäglich beim Training am eigenen Stall oder am Turnier vor Augen hat. Denn Bewegungslernen im Sport funktioniert auch über Zuschauen, wie Studien zeigten.

Was kann man also tun? Gut ist es, sich möglichst viele verschiedene Pferde anzuschauen und vor allem darauf zu achten, ob das Tier sich wohl fühlt, welchen Ausdruck es mit den Ohren, dem Schweif und den Augen zeigt. Eine Möglichkeit das eigene Auge zu schulen ist beispielsweise, auf Lehrgängen zuzusehen oder auf Turnieren Dressurprotokolle zu schreiben. Was oft auch hilft, Tricksen beim Reiter und Verspannungen beim Pferd zu entdecken, ist, nichtreitende Freunde mit aufs Turnier oder in den Stall zu nehmen und sie um ihre Einschätzungen zu bitten: Je weniger Ahnung sie vom Reiten an sich haben, umso klarer sehen sie oft Spannung, Krampf und Zwang. Viel Vergnügen beim Ausprobieren!

*H.Dv.12, Wu Wei Verlag 2012