Wer erinnert sich noch an den Spruch vom Chef der immer Recht hat? Es gibt ihn auch mit Lehrern, Eltern oder Kunden. Erstaunlicherweise konnte ich ihn nicht mit Pferd finden. Dabei ist er dort wirklich sinnvoll. Das stelle ich nicht nur beim Behandeln immer wieder fest.
Für alle, die den Spruch nicht kennen. Er lautet:
§ 1: Der Chef hat immer Recht.
§ 2: Hat der Chef einmal nicht Recht tritt automatisch § 1 in Kraft.
Da ist natürlich eine gehörige Portion Ironie dabei. Warum also glaube ich, der Spruch könnte auf das Pferd umgemünzt passen?
Ich habe beim Behandeln immer wieder festgestellt und hier bereits mehrfach beschrieben, dass ich die Pferde mitreden lasse. Ich verlasse mich dabei in erster Linie auf die Körpersprache der Pferde, die mir zeigt, wo ich behandeln soll, sowie auf mein Gefühl. Manchmal aber ist es so, dass mein Hirn meint, mir den Weg zeigen zu müssen: Da hat der Besitzer vielleicht etwas von einer bestimmten Diagnose erzählt oder ich habe einen Behandlungsgang aus dem Lehrbuch im Kopf. Häufig zeigt das Pferd dann aber etwas an, das meine Idee oder meinen Plan über den Haufen wirft. Und an genau dieser Stelle ist es Zeit, sich § 2 ins Gedächtis zu rufen:
Denn das Pferd hat tatsächlich immer Recht – ganz im Gegensatz zum Lehrer oder zum Chef. Es spürt nämlich was los ist – in seinem Körper. Und das tut es nicht nur beim Behandeln, sondern auch beim Reiten oder jedem anderen Umgang mit uns.
Wenn also unter dem Sattel eine bestimmte Lektion nicht möglich ist, sollte man sich als erstes fragen, was man anders machen muss. Es kann sein, dass man selber etwas falsch oder zumindest nicht ganz richtig gemacht hat. Klappt das Angaloppieren nicht, weil man das Pferd eventuell mit dem Gewicht oder mit dem Zügel in irgendeiner Form behindert oder es psychisch blockiert – etwa weil man selbst Angst vor dem Angaloppieren hat? Es gibt noch mehr Gründe dafür, warum eine Lektion nicht so gelingt, wie man sich das vorstellt. Die Kraft und Geschicklichkeit des Pferdes, der Grad der bisherigen Gymnastizierung reichen noch nicht aus oder die Hilfe wurde (noch) nicht verstanden. Von gesundheitlichen Problemen mal ganz zu schweigen.
Es kommen so viele unterschiedliche Gründein Frage, dass das Pferd etwas nicht kann. Das allein macht die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass es einfach nur nicht möchte. Ein Pferd, das zeigt, das etwas nicht geht – aus welchem Grund auch immer – kommuniziert mit uns. Und das ist es schließlich, was die Faszination von Pferden für viele von uns ausmacht: Ihre Fähigkeit und ihr Wille mit uns in einen Austausch zu treten.
Der Paragrafen-Spruch kann helfen, uns immer wieder daran zu erinnern und das Beste aus der jeweiligen Situation zu machen. Mir jedenfalls kommt er oft in den Sinn, wenn ein Pferd anderer Ansicht ist als ich – und er hilft mir dann immer sehr bei der Lösungsfindung.