Schaum vorm Maul? Teil 1

Immer wieder treffe ich beim Behandeln auf gesundheitliche Probleme, bei denen ich einen Zusammenhang mit einem zu eng oder falsch verschnallten Reithalfter vermute. Leider habe ich damit häufig Recht und kann nur hoffen, dass die Pferdebesitzer meine Erklärungen verstehen und ernst nehmen. Da Hintergründe und mögliche Folgen umfangreicher sind, als man so einem kleinen Stück Leder zutrauen würde, hier der erste von drei Teilen:

Das größte Übel sind zu eng verschnallte Reithalfter. Mit am problematischsten sind hier der Nasenriemen des englischen sowie zusätzlich der Sperrriemen des kombinierten Reithalfters. Der krasseste Fall, den ich selber bislang sah, war ein damals elfjähriger Warmblutwallach, der als unreitbar zum Schlachtpreis abgegeben wurde. Nachforschungen ergaben, dass er vermutlich seit dem letzten Besitzerwechsel, drei Jahre zuvor, mit viel zu eng verschnalltem Reithalfter geritten worden war. Das Pferd hatte ein Loch im Nasenbein, Gewebeschäden, Schluckbeschwerden sowie erhebliche Schwierigkeiten beim Fressen. Dazu kamen noch Gangverlust sowie Genickschmerzen.

Am Zungenbein – hier durch ein weißes Dreieck markiert – setzen für die Beweglichkeit wichtige Muskeln an: Sie verbinden so die Zunge mit dem Genick, dem Brustbein sowie dem Buggelenk. (© C. Götz)

Am Zungenbein – hier durch ein weißes Dreieck markiert – setzen für die Beweglichkeit wichtige Muskeln an: Sie verbinden so die Zunge mit dem Genick, dem Brustbein sowie dem Buggelenk. (© C. Götz)

Diese Art von Schädigungen sind typisch, wenn ein Pferd beim Reiten nicht mehr kauen kann. Das aber ist aus verschiedenen Gründen unbedingt notwendig: Die Zunge ist anatomisch betrachtet eine wichtige Schaltstelle im Pferdekörper. Über das Gerüst des knöchernen Zungenbeins ist sie mit dem Genick, der Vorhand und dem Rumpf verbunden (siehe Zeichnung). Durch die langen Zungenbeinmuskeln wird die Zunge bewegt. Geht dies nicht – zum Beispiel weil der Nasenriemen am Reithalfter zu eng verschnallt wurde – dann verkrampft auch diese Muskulatur. Und sie ist leider nicht die einzige.

Auch die Kaumuskulatur, die in der Hauptsache aus den Backenmuskeln besteht, verspannt. Denn das Pferd wird trotz des zu eng geschnallten Nasenriemens versuchen zu kauen: als Reflex auf die Impulse, die es in den Maulwinkeln und auf der Zunge durch das Gebiss erhält. Der Kaumuskel entwickelt seine größte Kraft, wenn er das Maul schließt und ist relativ schwach beim Öffnen des Mauls. Deshalb ist schon ein geringfügig zu eng verschnalltes Reithalfter ein Problem. Ahmen Sie das Abkauen eines Pferdes einmal nach: Was macht Ihre Zunge in dem Moment? Richtig, sie bewegt sich, und zwar nicht zu knapp. So ist es auch beim Pferd. Ein Pferd, das nicht abkauen kann, verkrampft. Ein Pferd, das abkaut, entspannt sich. Warum? Beim Menschen haben einige Studien gezeigt, dass Kaugummikauen sich positiv auf das vegetative Nervensystem, also auf Atmung, Herzschlag und Blutdruck, auswirkt. Und auch aus der Verhaltensforschung weiß man, dass das Abkauen bei Pferden als Entspannungszeichen zu werten ist. Warum also meinen so viele Reiter, die Riemen immer enger schnallen zu müssen? In Kürze mehr dazu.