Wer kennt sein Pferd?

Was wissen wir über unsere Pferde? Für diese Fragestellung habe ich am Ende des vorigen Artikels Fallbeispiele angekündigt. Eines davon betrifft meine eigene eingeschränkte Wahrnehmung bezüglich meines ersten Pferdes, das andere ein recht typisches Beispiel aus meinem Bekanntenkreis.

Es hat lange gedauert, bis ich das erste Mal festgestellt habe, wie falsch ich meinen Wallach von Beginn an eingeschätzt habe. Es fing mehr oder weniger mit einem Erlebnis an, das ich in diesem Beitrag beschrieben hatte. Bis dahin hatte ich geglaubt, das Pferd wäre nicht über Leckerchen zu motivieren. Dabei ist es so, dass ich selbst keine Lust habe über diese Art der positiven Verstärkung zu arbeiten. Ich nutze lieber ein Stimmlob oder Pausen.

Er hat es zudem geschafft, mich früh dafür zu sensibilisieren, dass Pferde durchaus Wege und Mittel finden, uns auf ihre Wünsche aufmerksam zu machen. Die Studienlage hat sich in den letzten Jahren beeindruckend weiterentwickelt, wie die Ergebnisse von Untersuchungen zeigen, die sich etwa damit befassen, dass Pferde uns zeigen, ob sie eingedeckt werden möchten oder nicht.

Im Takt, aber nicht im Gleichschritt – etwas Unabhängigkeit muss auch nach 24 gemeinsamen Jahren noch sein. (© C. Götz)

Auch heute noch – das Pferd ist inzwischen 27 Jahre alt und fast 24 Jahre bei mir – leiste ich noch öfter innerlich Abbitte, ihn früher falsch eingeschätzt zu haben. Ich dachte immer, er ist nicht der Cleverste und neigt dazu, nicht mitzudenken. Falsch! Altersbedingt mit immer schlechterem Hör- und Sehvermögen ausgestattet, zeigt er nun beeindruckende geistige Fähigkeiten. Ich vermute mal eher nicht, dass er die vorher nicht bereits hatte. Er hat sie nur nicht ausgelebt oder ausleben können.

Ein anderes recht typisches Beispiel ist die Fehleinschätzung von Pferden, die eigentlich nur das Verhalten der Menschen spiegeln lernte ich vor einigen Jahren kennen: Eine Freundin hatte sich als relative Reitanfängerin eine Stute zugelegt, von der sie dachte, dass diese kein Interesse an der Kommunikation mit Menschen hätte. Es stellte sich im Unterricht mit der Reitlehrerin das Gegenteil heraus: Das Menschen sogar besonders zugewandte Pferd hatte die Ängste der Besitzerin gespiegelt und sich betont distanziert und respektvoll verhalten. Als das geklärt war, war es ihr möglich, einen großen Teil ihrer Ängste abzulegen und die Kommunikation mit dem Pferd auf eine neue Ebene zu bringen – mit entsprechend erfreulichen Ergebnissen.

Es ist also nicht nur in der Wissenschaft so: Die Behebung von Fehleinschätzungen kann uns einen entscheidenden Schritt weiterbringen – vielleicht nicht für die Menschheit, aber auf alle Fälle fürs Pferd und für uns als Reiterinnen* und Pferdemenschen.

* Gendern? Yes!