Das brave Pony wird zum lebensgefährlichen Bocker, ein Pferd, das immer von der Koppel auf den Besitzer zugelaufen kam, läuft nun weg und das kooperative Rittigkeitswunder wird plötzlich steif und stur. Es muss nicht immer so krass sein. Aber es lohnt sich, darüber nachzudenken, was neben körperlichen Problemen sonst noch der Grund sein könnte, wenn das Pferd sich verändert.
Ich habe selber gesehen, wie eine Grand-Prix-erfolgreiche Dressurreiterin ihr Pferd, das sonst alles mit Leichtigkeit konnte, im Scheidungsstress wie ein verrittenes Schulpferd hat aussehen lassen, das nicht einmal durch eine A-Dressur gekommen wäre. Ich habe erlebt, dass Pferde von einer Sekunde auf die andere neben einem Menschen explodieren, ohne dass es auch nur den Hauch eines äußerlichen Auslösers gab.
Immer wenn ich in solchen Situationen die Gelegenheit hatte, nachzufragen, wie es dem Menschen im betreffenden Moment ging, was er gedacht oder gefühlt hatte, bekam ich Antworten, die nahelegen, dass die Gedanken und die Energie der Person für die jeweilige Reaktion des Pferdes verantwortlich waren.
Dass Pferde unsere Körpersprache gut lesen und interpretieren können ist schon lange durch Studien bewiesen. Neuere Forschungen zeigen, dass sich dies sogar auf unsere Mimik bezieht – die ja letztendlich nichts anderes ist, als die Körpersprache unseres Gesichtes.
Ob Pferde wirklich nur feinste Veränderungen in unserem körpersprachlichen Ausdruck wahrnehmen, oder ob sie auch auf unsere veränderte Körperchemie reagieren, wenn wir wütend oder traurig sind, werden sicher in den nächsten Jahren weitere Studien zeigen. Was wir aber jetzt schon wissen, basiert auf der Jahrtausende lang tradierten Erfahrung mit Pferden: Pferde spiegeln als soziale Wesen und Herdentiere die Energie, die unsere Gedanken und Gefühle begleiten.
Wir können nicht wissen, wie ein Pferd einen Menschen erlebt, der plötzlich todtraurig ist – weil eine Beziehung zuende ging, er einen Verwandten oder ein geliebtes Haustier verloren hat. Aber wir haben alle schon einmal erlebt – und zwar vom ersten Tag unserer reiterlichen Karriere an – dass Pferde sich anders verhalten und bewegen, wenn wir an guten oder weniger guten Tagen in den Sattel steigen.
Viele von uns haben erlebt, wie eins sie mit dem Pferd sein können, wenn sie mit selbst im Reinen sind, wenn sie ganz bei sich sind. Nicht alle von uns sehen ihren Anteil, wenn sie sich nach einem Tag mit Stress im Büro aufs Pferd setzen und plötzlich gar nichts mehr läuft.
Wichtig ist meiner Ansicht nach, sich bewusst zu machen, dass unsere Energie für die Pferde – auf welche Art auch immer – spürbar ist. Auch, wenn wir uns selber dieser Energie im Moment vielleicht gerade nicht bewusst sind. Die Pferde zeigen sie uns … und wir haben die Chance dadurch zu lernen und zu wachsen.
Unsere Konzentration und unser Fokus sind für Pferde ebenfalls wahrnehmbar, wie ich in diesem Artikel übers Scheuen geschrieben habe.