Fragezeichen oder Ausrufezeichen? Glaubt man Rittmeister Rudolf Binding, der schrieb, „die meisten Menschen reiten noch schlechter als sie können“*, dann brauchen wir ein Ausrufezeichen für diese Aussage. Doch was meint er eigentlich damit?
Binding bezieht diese Behauptung auf die Umstände des Alltags, von denen wir uns aus unserer Kraft bringen lassen, um dann schlechter zu reiten, als wir es eigentlich können: Um seine Beispiele in unsere heutige Zeit zu übersetzen wären das der Ärger im Büro, den wir – wenn auch oft unbewusst – mit aufs Pferd nehmen, die übervolle Halle, die unsere Konzentration stört, oder dass wir uns mehr anstrengen, wenn Tribüne oder Reiterstübchen nicht verwaist sind.
Ich glaube jeder hat schon festgestellt, dass er bessere und schlechtere Tage im Sattel hatte. Und wenn man ehrlich ist, dann weiß man, dass es häufig solche äußeren Umstände sind, die daran einen großen Anteil haben.
Für sich allein könnte der Spruch aber auch das reiterliche Niveau meinen, das jeder von uns erreichen kann. Denn wer häufig schlechter reitet, als er eigentlich kann, wird auch nicht so gut, wie er könnte. Und damit meine ich nicht, dass man sagt: Ja, wenn ich als Kind schon ein Pony zur Verfügung gehabt hätte, wenn ich auf richtig guten Schlupferden reiten gelernt hätte, wenn ich von Anfang an wirklich guten Unterricht bekommen hätte, wenn ich wirklich gutes Pferdematerial zur Verfügung gehabt hätte, aber leider …
Schalten Sie ihre eigenen Wenns und Abers mal für einen Moment ab. Stellen Sie sich stattdessen vor, Sie würden jeden Tag so gut reiten, wie sie es eigentlich jetzt schon können. Können Sie sich vorstellen, dass Sie dann zwangsläufig stetig besser werden?
Das Wichtigste dabei ist meiner Ansicht nach, sich selber zu erziehen: Zu Achtsamkeit, bei der Sache zu sein, zu Selbstkorrektur und auch zum richtigen Stecken der Ziele. Denn ein Ziel kann zwar hoch gesteckt sein, wenn man aber die einzelnen kleinen Schritte nicht kennt, die einen dorthin bringen, geht jede Motivation flöten. Das passiert übriges in der Regel auch, wenn man keine Ziele – nicht nur reiterliche – mehr hat.
* Rudolf G. Binding: Reitvorschrift für eine Geliebte, Rütten & Loening Verlag, 1926, Seite 44