Selbst Haltung trainieren

In einem sehr lesenswerten Interview sagte Dressurreiter Carl Hester einige spannende Dinge über Selbsthaltung und wie man sie dem Pferd vermittelt und im Rahmen der Ausbildung weiter fördert.

Doch zuerst einmal das Wichtigste: Was ist Selbsthaltung überhaupt? Ein Pferd das über die Koppel läuft bewegt sich in Selbsthaltung. Ein Pferd das am hingegeben Zügel den Reiter trägt nimmt ebenfalls eine Selbsthaltung ein. Und ein Pferd, dem der Reiter im Galopp mit beiden Händen überstreicht, indem er die Zügelfäuste entlang des Mähnenkamms um zwei Handbreit Richtung Maul führt, zeigt ebenfalls seine Selbsthaltung – oder eben auch nicht. Bleibt es nämlich nicht in der Haltung, in der es vor dem Überstreichen war, wird dadurch sichtbar, dass keine Selbsthaltung vorhanden war; sich das Pferd also nicht selbst getragen und ausbalanciert hat, sondern eine Stütze in der Reiterhand fand.

Carl Hester und ein gelassen in Selbsthaltung schreitender Uthopia bei der Olympiade 2012. (© The Rambling Man and Kim Ratcliffe of Think Equestrian, Wikipedia)

Carl Hester und ein gelassen in Selbsthaltung schreitender Uthopia bei der Olympiade 2012. (© The Rambling Man and Kim Ratcliffe of Think Equestrian, Wikipedia)

Die Selbsthaltung des Pferdes und die Fähigkeit, sich mit dem Gewicht des Reiters auszubalancieren, hängt auch vom Grad der Versammlung ab, der bereits erarbeitet wurde. Ein Pferd kann immer nur so weit in Selbsthaltung laufen, wie es seine bereits erreichte relative Aufrichtung erlaubt.

In dem oben verlinkten Interview sagt Hester, das Beste, was man tun könne um Selbsthaltung zu fördern, sei das Zügelmaß immer wieder zu variieren. Und zwar indem man die Zügel hingibt und wiederaufnimmt, im steten Wechsel: geben, nehmen, geben, nehmen. „Der Rahmen bleibt bestehen und das Maul weich“, erklärt er.

Leider geht das Interview dazu nicht weiter ins Detail. Deshalb hier ein paar Vorschläge, wie dieser Wechsel von „geben und nehmen“ stattfinden kann, um Selbsthaltung zu vermitteln und zu verbessern:

  • Zügel aus der Hand kauen lassen – in jeder Gangart, in wechselnde Tiefen (bis zur Schnalle, bis Höhe Buggelenk oder nur in eine minimale Rahmenerweiterung) aber immer nur so weit, wie das Pferd sein Gleichgewicht behalten kann.
  • Überstreichen wie oben beschrieben. Die Nasen-Stirnlinie darf dabei ein wenig mehr vor die Senkrechte kommen.
  • Eine feine Anlehnung bei korrekter Zügelfaust herstellen und mit dieser „Nullstellung“ spielen, indem man einmal die Zügelfäuste für einige Sekunden ein wenig mehr öffnet. Die andere Variante ist sie vermehrt zu schließen (Schwämmchenausdrücken). Es lohnt sich, beide auszuprobieren.

Neben der Tatsache, dass man sich selbst immer wieder erinnern müsse, dieses Geben und Nehmen auch wirklich zu praktizieren betont Hester die Bedeutung des Reitersitzes für die Selbsthaltung des Pferdes: „Ich bin nicht sicher, was hier Henne und was Ei ist“, so Hester, „aber die Reiter die ausbalanciert sitzen sind auch diejenigen mit den Pferden in Selbsthaltung.“ Wenn der Sitz des Reiters nicht im Gleichgewicht des Pferdes sei, werde Selbsthaltung zu einer sehr schwierigen Angelegenheit.

Ein Grund, warum Reiter bis in die höchsten Klassen von der Arbeit am eigenen Sitz und Sitzschulungen profitieren.