Anatomie für Reiter: Die Schulter (1)

… ist für uns Reiter interessanter, als man auf den ersten Blick meint. Anatomisch gesehen hat das Schulterblatt eine ganze Reihe von Auswirkungen auf das Pferd als Reittier: Vor allem seine Lage und Länge, sein Winkel und seine Anbindung sind von Bedeutung.

Das Schulterblatt ist ein großer, fast dreieckig geformter Knochen. An seinem oberen Ende sitzt der Schulterblattknorpel und gibt ihm einen runden Abschluss. Es bietet – auch über die Schulterblattgräte, einen knochigen Aufsatz in seiner Mitte – viel Ansatzfläche für Muskulatur. Sein Bewegungsspielraum ist mehrdimensional, was für das Vor- und Zurückführen des Vorderbeins, sowie sein seitliches Abspreizen benötigt wird.

Schulterblatt mit Schulterblattgräte, Buggelenk und Ellbogengelenk. (© C. Götz)

Das Schultergelenk wird zumeist Buggelenk genannt. Gebildet wird dieses Kugelgelenk von Schulterblatt und Oberarmknochen. Es ermöglicht hauptsächlich Beugung und Streckung, die allerdings durch stark sehnig durchsetzte seitliche Muskeln eingeschränkt wird. Das Ergebnis ist größtmögliche Stabilität bei dennoch raumgreifender Fortbewegung.

Das Pferd kann eine steile oder flache Schulter haben, seine Schulter kann weit in den Rücken hineinragen und sehr stark ausgeprägt sein oder eher eine moderate Größe haben. Ein Pferd kann – abhängig auch von diesen anatomischen Gegebenheiten – über viel oder wenig Schulterfreiheit verfügen.

Kaum etwas wird in den letzten Jahren so missverständlich gebraucht wie dieser Begriff: Mit Schulterfreiheit bezeichnen viele inzwischen fälschlicherweise eine Anforderung an Sättel, nicht auf der Schulter aufzuliegen. Ob ein Sattel die Schulter einengt und damit ihre Bewegungsfreiheit behindert, ist aber nicht die biomechanische Schulterfreiheit. Diese ergibt sich aus der Länge und Stellung von Schulterblatt und Oberarm, sowie aus der Funktionalität der dazugehörigen Muskeln.

Schulterfreiheit bezeichnet also letztlich den Bewegungsspielraum des Vorderbeins aus der Schulter heraus. Sichtbar wird diese vor allem daran, wie weit die Vorderbeine des Pferdes ausgreifen können und wie hoch es den Unterarm (etwa über dem Sprung) nach vorne oben bringen kann. Eine ideale Reitpferdeschulter ist breit und schräg genug, um diese Beweglichkeit zu ermöglichen. Eine kurze steile Schulter – wie man sie häufig bei Kaltblütern sieht – bedingt eher eine geringe Schulterfreiheit. Diese hat aber, vor allem im Zug oder in steilem Gelände, andere Vorteile.

Schauen Sie sich Ihr Pferd einmal genau an: im Stand, im Schritt und im Trab. Beobachten Sie, wie sich das Schulterblatt bewegt. Erspüren Sie das Schulterblatt, wo es oben und hinten aufhört und finden Sie seine Gräte. Reagiert Ihr Pferd irgendwo empfindlich?

Mehr zu den Hintergründen der Anatomie und Biomechanik der Schulter lesen Sie im nächsten Beitrag.