Der hat ’nen Schatten

Im vorherigen Beitrag ging es um die Geschichte von Bukephalos, dem Pferd von Alexander dem Großen, der Angst vor dem Schatten von Reiter und Pferd hatte. Warum das stimmen kann, erklärt die Forschung zur Physiologie des Pferdeauges so:

Ein Pferd sieht nicht besser oder schlechter als ein Mensch – nur vollkommen anders. Das fängt schon mit der Anordnung der Augen am Kopf an und endet beim unterschiedlichen Farbsehen. Aus ersterem ergibt sich, dass das Gesichtsfeld des Pferdes nahezu einen Rundumblick gestattet. Allerdings sieht es nicht alles mit beiden Augen sondern nur einen recht eng begrenzten Ausschnitt (siehe Zeichnung).

Das schematische Gesichtsfeld des Pferdes mit einäugigen (monokularen) und beidäugigen (binokularen) Sehfeldern. (© C. Götz)

Das schematische Gesichtsfeld des Pferdes mit einäugigen (monokularen) und beidäugigen (binokularen) Sehfeldern. (© C. Götz)

Der Begriff Gesichtsfeld bezeichnet den mit unbewegten Augen erfassten Bereich. Er liegt beim Pferd bei etwa 300 Grad. Die beiden Augen überschneiden sich in einem Bereich von etwa 70 Grad. Es sieht also in weiten Bereichen nur mit einem Auge, also monokular. Dies bedeutet, dass es hier noch weniger scharf sieht als mit beiden Augen. Der Gewinn des in weiten Bereichen einäugigen Sehens ist ein großes Blickfeld, der Nachteil ist die mangelnde Tiefenschärfe in diesem Bereich. Dafür nimmt es auch im einäugigen Bereich Bewegungen sehr viel deutlicher wahr als wir.

Als Fluchttier hat das Pferd jeden seiner Sinne auf das frühzeitige Erkennen von Gefahren hin geschärft. Dazu gehört auch, auf Dinge, die nicht exakt so sind, wie gewohnt, mit Vorsicht, Misstrauen oder bereits Flucht zu reagieren. Im Augenblick – hier ist das Wort im wahrsten Sinne passend – einer möglichen Gefährdung wird es also eine der ihm möglichen Abwehrmöglichkeiten einsetzen. Ein Pferd, das in Anbetracht seines, durch einen Menschen auf dem Rücken, veränderten Schatten scheut, und diesen loswerden möchte, kann entweder losrennen und bocken, steigen oder sich auf den Boden werfen. Es ist anzunehmen, wenn auch nicht überliefert, dass der als unreitbar geltende Bukephalos eine oder mehrere dieser Maßnahmen an den Tag gelegt hat.

Lange, ungewohnte Schatten können ein junges Pferd durchaus erschrecken. (© C. Götz)

Lange, ungewohnte Schatten können ein junges Pferd durchaus erschrecken. (© C. Götz)

Wie aber hat Alexander Bukephalos reiten müssen, damit er den Schatten nicht als Bedrohung wahrnimmt und sich beruhigen konnte? Er soll ihn beim Aufsteigen so gestellt haben, dass er seinen Schatten nicht mehr sah. Das geht eigentlich nur, wenn der Schatten direkt hinter ihm war. Vielleicht ist er auch einfach nur mit ihm in den Schatten gegangen. Falls Sie andere Ideen haben, nur her damit! Auf alle Fälle ist das ein historischer Moment, den ich gerne selbst erlebt hätte.