Die Durchlässigkeit des Reiters

Durchlässigkeit ist das Ziel der gesamten Ausbildung des Pferdes. Man versteht darunter die Bereitschaft des Pferdes, die Hilfen des Reiters gehorsam und zwanglos anzunehmen. „Sie ist die entscheidende Eigenschaft des richtig gerittenen Pferdes“* und darum in aller Munde. Aber warum spricht eigentlich niemand über die Durchlässigkeit des Reiters?

Und falls doch, wie sähe die aus? Dieser Gedanke kam mir, als ich das Ergebnis von Sitzschulungen einer auf M-Niveau turniermäßig aktiven Reiterin beobachten konnte. Im Rahmen des normalen Reitunterrichts bemühte sie sich über einige Monate, das Klemmen mit den Sporen abzustellen. Das Ergebnis war, dass ihr Bein tatsächlich am Gurt scheinbar entspannter zu liegen kam – dafür wurde allerdings der Oberkörper, der vorher aufrecht und stabil gewirkt hatte, sehr unruhig.

Was war passiert? Ihr Körper kann sich offensichtlich nicht spannungsfrei auf und mit dem Pferd bewegen. Dies aber ist – um auf die Durchlässigkeit zurückzukommen – die entscheidende Forderung ans Pferd: „Es soll auf die treibenden Hilfen ohne Zögern reagieren, also mit dem Hinterbein aktiv durchschwingen und Schub entwickeln. Gleichzeitig sollen die Zügelhilfen vom Maul über Genick, Hals und Rücken bis in die Hinterhand weitergeleitet, also hindurchgelassen werden, ohne an einer Stelle des Körpers durch Spannungen blockiert zu werden.“*

Wie aber soll das Pferd sich spannungsfrei bewegen, wenn der Reiter dies nicht macht? Wenn er nicht fähig ist, geschmeidig von einem passivem Sitz in einen aktiven Sitz zu wechseln und zwischen diesen beiden in Nuancen zu differenzieren? Wenn er nicht wirklich von den Kopfgelenken über die Mittelpositur bis ins Sprunggelenk frei ist? Die Gründe dafür können vielfältig sein: vom Sattel, der Knie oder Hüfte blockiert, über Verspannungen in Schultergürtel oder Lende durch sitzende Arbeit bis hin zu falsch verstandenem Treiben und zu frühem Reiten von Aufgaben, für die man noch nicht bereit ist oder einem zur eigenen Anatomie völlig unpassenden Pferd. Und natürlich können alle auch gleichzeitig auftreten, was besonders fies ist. Und welchen Sinn und Wert hat es, an der Durchlässigkeit des Pferdes zu arbeiten, wenn man es selbst nicht ist?

Es muss ja nicht gleich in Extreme ausarten, wie dieses Stretching für den Boxsport, aber auch beim Reiter gehört ein gewisses Maß an Beweglichkeit unbedingt dazu. (© Alain Delmas, Wikipedia)

Es muss ja nicht gleich in Extreme ausarten, wie dieses Stretching für den Boxsport, aber auch beim Reiter gehört ein gewisses Maß an Beweglichkeit unbedingt dazu. (© Alain Delmas, Wikipedia)

Dies ist ein Plädoyer für wirkliche Sitzschulungen und gymnastizierende Arbeit am eigenen Körper abseits vom Pferd. Wirklich effektive Sitzschulungen finden auf dem eigenen oder, noch besser, korrekt ausgebildeten Schulpferden an der Longe oder bei hingegebenem Zügel statt. Ob und wie man seinen Körper noch anderweitig unterstützt, Spannungen auf dem Pferd nicht aufkommen zu lassen oder loszuwerden, muss jeder für sich herausfinden. Helfen kann vieles: von Tanzen über Yoga, Feldenkrais- oder Alexandertechnik bis hin zu Massagen, Zumba, gezieltem Krafttraining sowie Gymnastik und Dehnungsübungen vor oder nach dem Reiten.

* Richtlinien für Reiten und Fahren, Band 1, 27. Aufl., FN-Verlag