Equine Soziopathie*

Stellen Sie sich vor, Sie gehen abends durch die Straßen. Auf einmal kommt Ihnen jemand entgegen, stellt sich Ihnen in den Weg und fragt, ob Sie eins in die Fresse wollen.** So ähnlich müssen sich junge Pferde fühlen, wenn es in der Halle eng wird.

Viele – nicht nur junge – Pferde bekommen regelrecht Panik, wenn ihnen ein anderes Pferd entgegenkommt. Manche drehen auch völlig am Rad, wenn sie überholt werden oder wenn ein Artgenosse in der Halle oder auf dem Platz irgendeine Form von Stress zeigt.

Warum? Nun, das Pferd ist in erster Linie ein Herdentier und damit ein hochsoziales Wesen. Als solches ist es auf glasklare körpersprachliche Signale von Artgenossen angewiesen. Pferde müssen erst lernen, dass das andere Pferd unter dem Reiter sich ihnen so nähert, wie es das in der Herde nie tun würde: direkt von vorne, schnell und möglicherweise auch noch viel zu dicht.

Auch in schlimmen Situationen, wie hier bei einem spanischen Rapa das Bestas ((https://en.wikipedia.org/wiki/Rapa_das_Bestas)), reagiert ein Pferd, für andere Pferde erkennbar, immer noch wie ein Pferd. (© jpereira.net, Wikipedia)

Auch in schlimmen Situationen, wie hier bei einem spanischen Rapa das Bestas, verhält sich ein Pferd, für andere Pferde erkennbar, immer noch wie ein Pferd. Unter dem Reiter ist das häufig nicht mehr der Fall. (© jpereira.net, Wikipedia)

Unter dem Reiter machen Pferde Dinge, die sie frei in der Herde niemals zeigen würden. Die meisten jungen Pferde müssen unter dem Sattel zuerst lernen, dass sie jetzt nicht plötzlich mit lauter Irren zu tun haben, die sich absolut nicht artgemäß verhalten.

Viele reagieren dann aber durchaus naturgemäß mit Maßnahmen zur Flucht: von Blockieren über 180-Grad-Wendungen bis hin zu Bocken. Das Problem ist, dass Sie es in einem Reitbetrieb oft nicht in der Hand haben, mit wem und wie vielen Sie in der Halle sind. Denn auch wenn andere Pferde nicht zu nahe kommen, reicht oft deren Energie, ein junges Pferd zu verunsichern. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn eines oder mehrere Pferde Stress haben. Zeigt sich das in Form von Schweifschlagen, Kopfschütteln oder Anzeichen von Unrittigkeit, haben Sie die Chance, die Situation für ihr Pferd zu verbessern.

Möglichkeiten gibt es genug: Absteigen und eine Weile führen, die Halle (für einen Moment) verlassen, neben oder hinter einem ruhigen Pferd im Schritt reiten sind nur einige. Fortgeschrittene Pferde können Sie mit Lektionen die sie auf den Reiter konzentrieren und aus der Schusslinie holen wieder zur Losgelassenheit bringen – etwa Schultervor auf dem dritten Hufschlag, Übertreten oder Volten in der Zirkelmitte.

Generell gilt: Zeigen Sie ihrem Pferd, was Sie wollen und was es erwartet, indem Sie mit vertrauenswürdigen Partnern ausreiten, und auf dem Platz und in der Halle das Entgegenkommen und Überholen Schritt für Schritt aufbauend üben. Bis es gefestigt ist, wünsche ich Ihnen, dass Sie keinen Soziopathen begegnen. Wobei die meiner Ansicht nach speziell bei der Problematik eher im Sattel zu finden sind, als darunter – und sei es nur aus Gedankenlosigkeit oder Unwissenheit.

* Wer hat’s erfunden? Auch wenn es den Begriff (bislang) nicht gibt, habe ich ihn durchaus nicht nur scherzhaft gemeint.

** Ist jemandem, den ich gut kenne, genau so passiert (übrigens in einer Kleinstadt vor 20 Jahren). Bevor er „Nein“ sagen konnte, war seine Nase schon gebrochen.