Im Zuge des Artikels über das Nase-Vor-Zitat und die Wege, wie man das Gerittensein von Pferden beurteilen lernt, fiel mir wieder ein, wie ein Bereiterlehrling sich in einem Jahr, in dem ich ihn nicht gesehen hatte, verändert hat: Er war nun – obwohl 30 Jahre jünger – auf dem Pferd die exakte Kopie seines Lehrmeisters*. Kein Wunder, denn Bewegungslernen im Sport wird auch Seh-Fühlen genannt. Was bedeutet das fürs Reitenlernen?
Bewegungen kann man durch Erklären oder durch Zusehen lernen. Beide Wege haben ihre Stärken und Schwächen. Beim Zusehen sieht man die Bewegung im Ganzen – im Bereich des Reitens heißt dies – von Reiter und Pferd. Das hat normalerweise den Vorteil, dass man komplexe Bewegungsabläufe und deren Ergebnis wahrnehmen kann: Wunderbar funktioniert dieses Lernen übers Zusehen etwa bei einem Tennisspieler der Aufschläge übt.
Beim Reiten besteht das Problem, dass ein grobmotorischer Reiter für den lernenden Schüler mehr zu sehen liefert als ein Meister, der mit unsichtbaren Hilfen arbeitet. Auch ist nicht immer – wie bei dem Beispiel beim Aufschlag – direkt ersichtlich, ob die jeweilige Aktion zum Erfolg führte.
Dennoch lernen natürlich auch Reitschüler, indem sie zusehen: Sie ahmen die Haltung des Vorbildes nach – auch oder gerade wenn dieses sich im Schiebesitz mit fester Hüfte in die Trabverstärkung quält – denn dies ist ein offensichtlicheres Bild als wenn sich nahezu gar nichts am Sitz verändert und das Pferd dennoch antritt. Dazu kommt, dass es, neben diesem größeren Reiz fürs Auge, mehr mittelmäßige und schlechte Reiter gibt, die man beobachten kann.
Manchmal wird diese Art des Lernens im Sport wie gesagt auch Seh-Fühlen genannt. Dies hat beim Reiten gleich doppelte Bedeutung, denn das Gefühl des Reiters ist ja ein entscheidender Faktor, wie gut er mit dem Pferd harmoniert. Das innere Mitbewegen beim Zusehen, wenn andere reiten, sollte also nicht nur die Hilfen und die entsprechenden Bewegungen des Pferdes umfassen sondern auch den jeweiligen inneren Zustand. Wer es schafft, sich da hineinzuspüren, wird noch mehr mitnehmen. Und er wird rasch erkennen, wo er lieber nicht zusieht, um sich nichts anzugewöhnen, was er selbst nicht haben möchte.
* Ich habe – in Relation zur Kürze der Zeit – mit am meisten gelernt als der oben erwähnte Lehrmeister eine Reiteinheit auf einem Korrekturpferd selbst kommentierte und dabei zudem immer wieder mit seinem Co-Trainer Rücksprache hielt.