Sklavisch nach der Skala?

Takt, Losgelassenheit, Anlehnung … Viele Reiter, die von sich behaupten, sie ritten nach der Skala der Ausbildung, kommen ganz schön ins Schwimmen wenn man diesbezüglich das Gespräch mit ihnen sucht. Dabei fällt mir vor allem immer wieder auf, dass die meisten meinen, die Stufen wären in ihrer Reihenfolge zwingend vorgegeben.

In den Richtlinien* steht aber: „Die einzelnen Grundeigenschaften müssen systematisch, aber nicht schematisch erarbeitet werden.“ Nun bedeutet systematisch zwar planmäßig, aber eben auch: durchdacht, logisch und taktisch. Und schematisch heißt, einem Schema folgend sowie gedankenlos oder schablonenhaft. Der Satz bedeutet also auch: Die einzelnen Punkte der Skala der Ausbildung müssen durchdacht erarbeitet werden und nicht schablonenhaft.

Was heißt das? Ein Pferd, das beispielsweise über einen ausgezeichneten Trabtakt verfügt, kann meist leicht und schnell über selbigen zur Losgelassenheit finden. Ein Pferd, dessen Takt anfällig für Störungen ist, wird häufig zu einem stabilen Takt erst finden können über Lektionen, die vorab die Losgelassenheit fördern. Bei solch einem Pferd wählt man zur Erreichung der Losgelassenheit dann beispielsweise nicht die Trabarbeit auf gebogenen Linien, denn die wäre dann ja ohne Takt. Man könnte stattdessen – je nach Alter und Ausbildung – mit Arbeit an der Hand und im Schritt beginnen. Auch unter dem Sattel sind Schenkelweichen, Übertretenlassen, Schulter- und Kruppeherein Möglichkeiten, ein Pferd zu Losgelassenheit zu bringen. Nicht zu unterschätzen ist aber vor allem eine ausreichend lange sowie in Tempo und Rahmen dem Pferd angepasste Schrittphase ganz zu Beginn.

Grundsätzlich ist es aus gesundheitlicher Sicht das Beste für ein Pferd, es immer erst dann zu belasten, wenn Losgelassenheit erreicht ist. Denn jeder Kilometer, der ohne tätigen Rücken in höheren Gangarten und mit Reitergewicht gelaufen wird belastet den Körper über Gebühr.

Die neue Skala der Ausbildung ist keine Leiter mehr sondern eine Pyramide.

Die neue Skala der Ausbildung ist keine Leiter mehr sondern eine Pyramide.

Auch bei weiter fortgeschrittener Ausbildung wird es immer wieder (und sei es nur für Momente) dazu kommen, dass man zwischen den einzelnen Stufen „wechseln“ muss: wenn etwa der Takt in versammelnden Lektionen oder beim Abfragen der Schwungentfaltung verloren geht oder weil aufgrund äußerer Umstände die Losgelassenheit abhanden gekommen ist. Dann muss man individuell entscheiden, zu welchem Punkt man „zurückgehen“ muss. Das kann die psychische Losgelassenheit sein (in den Richtlinien als Zwanglosigkeit bezeichnet) oder nur die Anlehnung.

Ich glaube, dass es wichtig ist, sich klarzumachen, dass die Skala kein starres System ist und auch nicht als solches gedacht ist. Denn das könnte zur Folge haben, Pferde stärker als Individuen zu behandeln, die aufgrund ihres Interieurs und Exterieurs leichter oder schwerer zu den einzelnen Punkten finden.

* Richtlinien für Reiten und Fahren, Band 1, 27. Aufl., FN-Verlag, S. 169