Ganz zwanglos

Was kommt zuerst? In der Skala der Ausbildung steht Takt an erster Stelle beziehungsweise er bildet in der neuen Pyramide die Grundlage der Ausbildung sowie jeder neuen Reiteinheit. Manche Ausbilder fordern, die Losgelassenheit an die erste Stelle zu setzen. Warum?

Die typische Diskussion lautet: „ohne Takt keine Losgelassenheit“. Darauf folgt in der Regel als Gegenargument „um ihren Takt zu finden, müssen aber viele Pferde erst einmal losgelassen sein“. Meiner Ansicht nach entsteht diese Diskussion auch, weil verschiedene Begriffe und ihre Bedeutung vermischt werden:

1. Losgelassenheit bezeichnet laut der Skala einen Zustand, der an unterschiedlichen Merkmalen gemessen wird. Die Aufzählung der Anzeichen, an denen Losgelassenheit erkennbar ist, umfasst einen schwingenden Rücken, den locker pendelnden Schweif und das Abschnauben.

2. Die physische und psychische Bereitschaft zur Losgelassenheit nennt die FN Zwanglosigkeit. Also sollte man eigentlich erwarten, dass die Skala mit diesem Kriterium beginnt. Leider taucht sie in den Richtlinien* nur in einem Nebensatz in Klammern auf.

Die Zwanglosigkeit ist also die eigentliche Basis der Skala. Sie muss außerdem zu jedem Moment und Stand der Ausbildung vorhanden sein. Durchlässigkeit etwa ist dadurch definiert, dass ein Pferd die Hilfen gehorsam und zwanglos annimmt. Warum also bekommt die Zwanglosigkeit nicht mehr Gewicht und Raum? Warum wird sie nicht besser definiert? Denn ohne Zwanglosigkeit gibt es keine Losgelassenheit und keine Durchlässigkeit.

Ein Takt wie ein Metronom. Aber schwingt auch der Rücken? Sonst ist auch der Takt nicht korrekt. (© Vincent Quach, Wikipedia)

Ein Takt wie ein Metronom. Aber schwingt auch der Rücken? Sonst ist auch der Takt nicht korrekt. (© Vincent Quach, Wikipedia)

Doch zurück zu der Frage, ob nun der Takt an erster Stelle seine Berechtigung hat oder nicht. Ein Satz aus den Richtlinien verrät die Krux: „Die taktmäßigen Bewegungen sind nur dann richtig, wenn sie über den schwingenden Rücken gehen“. Dieser schwingende Rücken aber ist ein Anzeichen für Losgelassenheit, die damit ja bereits hergestellt sein muss.

Doch nicht nur die Reihenfolge der ersten beiden Punkte der Skala der Ausbildung wirft Fragen auf. Darüber mehr in einem der nächsten Beiträge.

* Richtlinien für Reiten und Fahren, Band 1, 27. Aufl., FN-Verlag, S. 169