Eine Fehleinschätzung, die ich beim Behandeln oft höre? „Mein Pferd ist überbaut.“ Es gibt genau drei Möglichkeiten, warum ein Pferd überbaut ist, beziehungsweise warum es so wirkt. Dass es tatsächlich überbaut ist, kommt am seltensten vor. Meistens handelt es sich um eine der beiden anderen Formen.
Was bedeutet es, wenn ein Pferd überbaut ist? Der höchste Punkt der Hinterhand ist höher, als der höchste Punkt des Widerristes. Um das zu beurteilen muss das Pferd möglichst gleichmäßig auf einer ebenen Fläche stehen. Dann erkennt man meist auch mit bloßem Auge, ob ein Überbautsein vorliegt oder nicht. Im Zweifel kann man natürlich auch nachmessen.
Schwieriger wird es auf Fotos, wenn man nicht beurteilen kann, ob das Pferd wirklich eben steht, und ob es vielleicht etwas schräg zur Kamera steht, was den Eindruck verfälschen kann. Bei vielen Beurteilungen von angeblich überbauten Pferden wird auf einem Foto einfach ein Strich eingezeichnet, der dann die Kruppe höher anzeigt, als den Widerrist, nur weil der Strich irgendwo im Widerrist landet und nicht obenauf.
Überbaut sind Pferde oft im Wachstum. Von Fohlen an kann es Wachstumsphasen geben, bei denen die Hinterhand tatsächlich höher ist als die Vorhand. Dies kann sich auch noch weit ins Reitpferdealter hineinziehen. Manchen Pferden macht ein solcher Wachstumsschub Probleme, bei anderen merkt man es weniger. Wenn es aber zu sehen oder zu spüren ist, muss der Reiter Rücksicht nehmen. Denn durch das Überbautsein können sich Probleme ergeben, die das Pferd nicht oder schwer wieder los wird:
Der Wachstumsschub kann dazu führen, dass das Pferd im Schultergürtel absinkt und verspannt. Dies nennt man Trageermüdung oder – wenn es weiter fortgeschritten ist – Trageerschöpfung. Das Pferd sinkt dabei zwischen den Schulterblättern im Brustkorb ab. Zumeist blockieren dabei das Brustbein und Hals- sowie Brustwirbel, beziehungsweise der Übergang von Hals- zur Brustwirbelsäule.
Die allermeisten Pferde, von denen ich gesagt bekomme, sie seien überbaut, leiden in Wirklichkeit an Trageermüdung oder -erschöpfung. Damit ist die Fähigkeit, sich unter dem Sattel groß zu machen, sich im Widerrist anzuheben, zumindest stark eingeschränkt. Die Folge: Das Pferd wirkt überbaut und entwickelt häufig auch einen Senkrücken. In der Regel erwerben Pferde diese Problematik bereits als Remonten, also in der ersten Zeit unter dem Reiter. Denn dann ist die Muskulatur mit der sie den Reiter tragen noch nicht gefestigt. Jede Überlastung – sei es in puncto Gewicht, in Bezug auf die Dauer des Reitens oder die Art der Ausbildung – kann das Problem verursachen. Das Pferd wirkt dann überbaut, ohne es eigentlich zu sein. Die Probleme, die ihm das macht sind letztendlich aber schlimmer, als tatsächliches anatomisches Überbautsein. Je nach Schwere und Dauer der Blockierungen ist durch Behandlung und korrektes Training in der Regel zumindest eine Verbesserung möglich.