Gestellt wird das Pferd mit dem Zügel, gebogen mit dem Schenkel – das ist die Vorstellung, die viele Reiterinnen* haben. Das liegt nicht zuletzt daran, wie ihnen Stellung beigebracht wird: Unter anderem mit der Lektion Schenkelweichen, für die von der FN Stellung ohne Biegung gefordert wird. Doch was bedeutet das biomechanisch?
Stellung heißt bei der FN, dass das Pferd seinen Kopf im Genick seitlich wendet und dabei maximal eine leichte Biegung des Halses entsteht. Unter Biegung versteht sie eine „Krümmung der Längsachse“** des gesamten Pferdes.
„Beim Schenkelweichen bewegt sich das Pferd mit geringer Stellung, aber ohne Rippenbiegung“***, heißt es in den Richtlinien. Auch bei der Vorhandwendung ist lediglich die Rede davon, das Pferd zu stellen****. Bei ihr ist aber die Wirbelsäule von oben als leichter Bogen eingezeichnet. Text-Bild-Schere nennt man das im Journalismus. Heißt: Das Bild erzählt etwas anderes als der Text. Nicht gut! In diesem Fall aber schon. Denn es zeigt dass die harte Forderung „Stellung ohne Biegung“ sehr relativ ist. Warum?
Bei einem korrekten Kreuzen des inneren Hinterbeins – wie es sowohl beim Schenkelweichen, als auch bei der Vorhandwendung gefordert ist – muss der Rippenkasten ebenfalls leicht rotieren. In diesen Fällen folgt er vor allem der Bewegung des Beckens. Für das Pferd ist es auch hier gut, wenn die Bewegung durch den ganzen Körper geht und nirgendwo behindert wird, wie ich im vorherigen Beitrag erklärt habe. Denn überall wo sich etwas verkrampft oder verspannt entstehen auf Dauer Blockierungen und damit weitere Probleme im Bewegungsapparat.
Also wird bei einem gelösten, durchlässigen Pferd auch beim Schenkelweichen neben der Stellung im Genick eine sanfte Biegung in Hals- und Brustwirbelsäule vorhanden sein. Falls nicht, wird das Pferd schwerlich biomechanisch korrekt und taktrein vor und über die äußere Hand treten können.
Jeder der schon einmal versucht hat, ein noch nicht an die Hilfen gestelltes Pferd im Schenkelweichen in der Spur zu halten, weiß, dass es erst dann funktioniert, wenn das Pferd weich wird und die Bewegung durch den ganzen Körper lässt. Und dann ist es auch minimal gebogen – so wie es das Bild aus den Richtlinien für die Vorhandwendung zeigt.
Man könnte es auch so formulieren: Beim Schenkelweichen muss man das Gebogensein zulassen. Fordern und fördern muss man es beim Schultervor und noch mehr beim Schulterherein, auf der Zirkellinie und beim Zirkelverkleinern, beim Durchreiten von Ecken sowie in Volten.
Mehr dazu für die Praxis am Boden und im Sattel im nächsten Beitrag.
** Richtlinien für Reiten und Fahren, Band 1, FN Verlag, 27. Auflage, Seite 107
*** ebenda, Seite 115
**** ebenda, Seite 114