Rittigkeit = Rideability

Im vorherigen Beitrag habe ich dargelegt, dass die Unterscheidung zwischen der angeborenen Rittigkeit und der erworbenen Durchlässigkeit zunehmend aufweicht. Das liegt meiner Ansicht nach auch daran, dass das Pferd geritten werden muss, um die Rittigkeit festzustellen. Die Krux dabei ist …

… dass mit jeder Ausbildung bereits die Rittigkeit verändert wird: positiv oder negativ. Man kann Rittigkeit nämlich auch wegreiten. Bei nicht korrekter Ausbildung und falschem Training kann sich sowohl das Interieur, als auch das Exterieur verschlechtern und dem Pferd die angeborene Rittigkeit nehmen.

Umgekehrt kann auch ein wenig rittiges Pferd im Verlauf einer korrekten Ausbildung bis zur optimalen Durchlässigkeit in schwierigsten Lektionen gefördert werden.*

Die englische Bezeichnung für Rittigkeit ist Rideability. Schon das Wort ist sprachlich klarer. Die Erklärungen zur „Reitfähigkeit“ decken sich aber: Ein rittiges Pferd ist unkompliziert und bequem und bringt eine große Portion Selbsthaltung mit. Es ist ausbalanciert, aufmerksam, intelligent und gehorsam.

Daran sieht man, dass an der Rittigkeit die inneren Werte größeren Anteil haben, als bei der Durchlässigkeit. Ich glaube, dass immer mehr Reitern klar wurde und wird, wie stark das Interieur, also der Charakter des Pferdes, seine Rideability und damit seine Ausbildung bestimmen. Böse Zungen sagen zudem: Jedes Warmblut bringt mehr Rittigkeit mit, als 90 Prozent aller Reiter je brauchen werden. Wenn das wahr ist, dann wäre es auch eine Erklärung, warum Durchlässigkeit als Begriff immer mehr verloren geht: Er wird auf der einen Seite nicht wirklich benötigt und auf der anderen Seite spürt man, dass er eher „technische“ Bedeutung hat.

Beim Springen wird eine ausgezeichnete Durchlässigkeit vom Pferd gefordert. Fehlt sie – und sei es im Moment – kann es zu Fehlern kommen. (© Caygill, Wikipedia)

Dennoch finde ich es schade, dass die Begriffe nun verschwimmen, beziehungsweise der eine zu verschwinden beginnt. Denn auch ein rittiges Pferd muss im Verlauf der Ausbildung – egal ob diese nun zu Schulen über der Erde oder über einen S-Parcours führen soll – noch feiner, kräftiger und geschickter, eben durchlässiger, werden.

Neben der Wortklauberei darf man aber auch eines nicht vergessen: Rittigkeit und auch Durchlässigkeit wird von jedem Reiter anders empfunden: Wer mit feinsten Hilfen reiten gelernt hat, nimmt Widerstände schneller und konkreter wahr. Wer mit viel Druck reiten gelernt hat, wird ein feines, hochreaktives rittiges oder durchlässiges Pferd sogar als zu fein oder weich empfinden.

* Ich hatte einmal die Ehre ein solches Pferd reiten zu dürfen. Es war extrem überbaut und hatte als Jungpferd einen so schwierigen Charakter, dass es fast keine Chance bekommen hätte. Korrekt geritten, war es dann bis ins hohe Alter von großer Durchlässigkeit.