Sehnen stärken

Das war die Woche der Stolperer: über Themen und Ansichten – bei mir und bei anderen. Berichten möchte ich heute über einen gesundheitlichen und trainingsrelevanten Irrtum, der anscheinend noch recht weit verbreitet ist. So denken viele Reiterinnen* tatsächlich, man könne nur Muskeln trainieren, nicht aber Sehnen und Bänder. Das ist leider etwas, das oft fiese Folge(schäde)n für die Pferde hat.

Jedes Gewebe des Körpers, egal ob bei Mensch oder Pferd, – nicht nur Muskeln, sondern auch Knochen, Knorpel, Faszien sowie Bänder und Sehnen – spricht im Rahmen seiner Möglichkeiten auf Training an. Allerdings passiert das auf unterschiedliche Weise und auch die Ansprüche an Belastungen, auf die sie positiv reagieren, sind verschieden.

Sehnen passen sich einer gesteigerten Belastung an, indem sie beispielsweise Kollagengehalt und/oder -struktur verändern. Auch der Sehnenquerschnitt und die Steifigkeit der Sehne kann sich verändern, und tut dies von der Geburt an bis ins hohe Alter. Studien zeigten, dass dies schon bei Fohlen beginnt: Der Entzug von Weidegang in den ersten Monaten etwa bremst die physiologische Entwicklung der Sehnen und Bändern.

Traditionell gilt Schrittgehen auf ebenem, hartem Untergrund als stärkend für Sehnen. Es ist auch ideal für das Aufwärmen vor dem Training. (© C. Götz)

Ein paar Dinge sind essentiell, um zu verstehen, wie Sehnen bei Pferden trainiert werden müssen:

  • Nicht nur die Muskulatur, auch Sehnen, Bänder und Faszien müssen sich an neue Aufgaben anpassen. Dieser Prozess begleitet das Pferd ein Leben lang.
  • Sehnen brauchen länger als Muskulatur, um sich an eine neue Aufgabe anzupassen.
  • Über Muskelketten sind Band- und Sehnenapparat eng mit der Muskulatur und ihrer Funktion verknüpft, denn Sehnen übertragen die vom Muskel generierten Kräfte auf das Skelett.
  • Krafttraining (z. B. Dressur, versammelnde Arbeit) oder Schnellkrafttraining (z. B. Übergänge, Springen) stärkt zwar die Muskulatur, führt jedoch nur zu vergleichsweise geringen Anpassungen der Sehnen.
  • Bekommt das Sehnengewebe nicht die Zeit, die es braucht, um sich der Zunahme der Muskelkraft anzupassen, kann das zu Beeinträchtigungen oder Schäden führen.

Das alles ist der Grund, warum besonders junge Pferde traditionell geradeaus über möglichst wechselnde Untergründe ausgeritten und damit die Sehnen, Bänder und Faszien und natürlich die Muskulatur ganzheitlich trainiert wurden. Und es erklärt, warum Pferde mit weichem Bandapparat (z. B. Durchtrittigkeit) durch oben beschriebenes und verlinktes Training verbessert und/oder kuriert werden können.

Und nicht nur fürs Ausheilen von Sehnenschäden gilt: Je besser der Zustand der Muskulatur und der Faszien (nicht verspannt oder verklebt) ist, umso besser und stressfreier können auch Sehnen sich aufbauen und zu ihrer vollen Stärke und Flexibilität gelangen.

* Männer sind wie immer mit gemeint.