Trainieren lernen (2)

Nur wenn ich weiß, was mein Pferd im Moment leisten kann, wird es möglich, es weiter sinnvoll aufzubauen. Das gilt natürlich besonders für all diejenigen, die sich ein neues Pferd kaufen oder ein Jungpferd ausbilden oder ein Pferd nach einer Verletzung wieder antrainieren.

Grundsätzlich gilt: Wie beim Menschen ist es auch bei Pferden nicht möglich, ein einzelnes einheitliches Maß für die Leistungsfähigkeit aufzustellen. Sie muss für das Alter und den Ausbildungsstand sowie für jede Disziplin beurteilt werden.

Ein Pferd, das eine Jagd gehen soll, muss springen können, in der Gruppe in Schritt und Galopp ruhig bleiben und dies einige Stunden durchhalten. Viele unterschätzen bei ihrer ersten Jagd die Summe der Anforderungen. (© C. Götz)

Gesetzt den Fall, man bekommt ein unbekanntes Pferd überlassen, von dem man weder das Alter noch den Ausbildungsstand weiß, wie könnte man vorgehen? Ich persönlich würde mir das Pferd vorführen lassen und es im Schritt und Trab an der Hand auf hartem und weichem Boden beurteilen, mir seine Muskulatur anschauen und es dann im Freilauf in allen Gangarten beobachten.

Angenommen, ich käme zu dem Ergebnis ein sieben- bis neunjähriges lahmfreies Pferd – das zumindest in letzter Zeit nicht viel getan hat – vor mir zu haben, das geritten ist oder auch nicht. Dann würde ich mit Bodenarbeit prüfen, was es an Stellung und Biegung bereits kennt. Ich würde mit ihm Spazierengehen und sehen, wie es sich draußen verhält und wie schnell es müde wird. Angenommen, durch beide Tests komme ich zu dem Schluss, dass das Pferd nach zwanzig Minuten bezüglich Aufmerksamkeit und Kondition stark nachlässt. Ich würde mit Spaziergängen, Bodenarbeit, Handpferdeausritten weitermachen und alles langsam steigern, indem ich die Kriterien aus dem vorherigen Beitrag anwende. Dies ist bereits das Prinzip der achtsamen Leistungssteigerung.

Was ich damit sagen will: Man kann nur von Trainingsaufbau sprechen, wenn man einen aktuellen Status kennt. Diesen findet man je nach Pferd, Disziplin und aktuellem Leistungsstand oft auch erst im Verlauf einiger Tage oder Wochen.

Grundsätzlich gilt: Wann immer ich etwas Neues oder eine Steigerung vornehme, muss ich dem Organismus Zeit geben, sich anzupassen. Das kann ein Tag Koppelauszeit sein oder ein gemütlicher Spaziergang nach einem Turnierwochenende, einem Lehrgang oder einer anstrengenden Unterrichtseinheit.

Außerdem: Es gibt für jedes Pferd den Punkt, an dem keine Leistungssteigerung mehr möglich ist. Das wird selten in allen Trainingsbereichen – Ausdauer, Schnelligkeit, Kraft, Beweglichkeit und Koordination – gleichzeitig der Fall sein, aber es gilt für (uns) alle, einfach weil alle älter werden. Wer das weiß, der kann auch darauf Rücksicht nehmen.

Im nächsten Beitrag geht es um die häufigsten Trainingsirrtümer und -mythen.